Stimmen zu Sabine Kahane

Kahane Lea Fleischmann: Purpur und Gold

Aus den Bildern von Sabine Kahane treten die biblischen Gestalten und Szenen in unser Dasein und schlagen den Betrachter in ihren Bann. Sie entführen uns in eine königlich anmutende Atmosphäre, in der die Farben Purpur und Gold vorherrschen. Sogar die Wüste ist nicht kahl und dürftig, sondern strahlt in einer bewegenden Farbsymphonie, aus der deutlich wird, dass in dieser Landschaft Gott zum Volke Israel gesprochen und ihm die Tora gegeben hat. Sein Wort erhebt die Menschen und läßt sie aufrecht schreiten, in ihren Gesichtern spiegelt sich das Nahe und Ferne, die Verbundenheit mit dem Irdischen und Göttlichen.        Mit freundlicher Genehmigung von Lea Fleischmann, Schriftstellerin, Jerusalem (2010)

 

Bruno Alber: In ihren Bildern blitzt das Licht

Auf die Frage, wer er sei, findet sich der moderne Westler schnell wieder auf dem Ast des Dekonstruktionismus und Relativismus mit der Antwort: „Ich bin viele! Mal der, mal ein anderer. Unser Wir lebt in einem Beziehungsgeflecht!“ Der Kunst wird die Aufgabe zugeschrieben, alle Tabus brechen zu müssen. Als letztes Tabu die Kunst selbst. Warum geht Sabine Kahane diesen Weg nicht mit? Der Lebensweg dieser Malerin selbst gibt Antwort: Sie hat sich der Frage gestellt, wer sie sei. Mehr noch, sie forschte nach, wo ihre Wurzeln lägen, aus welchen Quellen sich ihr Leben speise. Dieses Schürfen, das sie zusammen mit ihrem Mann Chaim Noll begann, machte sie der Heimat und ihren Zeitgenossen fremd, führte zurück zur jüdischen Herkunft. Von Deutschland fort, über Italien nach Israel, an den Rand der Wüste. Vom Beliebigkeitsstandpunkt zum biblischen Glauben. Ihre Bilder spiegeln diesen Prozess: Im Ausgraben einer alten Erfahrung ist sie einer Wahrheit begegnet, die auch der Welt, den alltäglichen Dingen, den Personen, Bäumen und Sternen, den Tieren, dem Wasser und dem Licht Bestand verleiht. Sie ist auf eine Geschichte gestoßen, die nicht alt werden will, sondern täglich ins Heute drängt. Die sich vergegenwärtigt und die sie sprechen lässt wie Ezer Weizman damals im Bundestag:“ Ich war dabei!“. Dabei beim Auszug aus Ägypten und am Sinai, mit Josua über den Jordan, mit Tränen in Babel. So sind ihr Salomon, Rebekka und Jeremia zu Nachbarn geworden, und wenn sie die Beduinenzelte zeichnet, sitzt Abraham unter ihnen. Was sie malt, liegt jenseits der wohlfeilen Volkskunst-Produktion, jenseits der Mitbringsel-Kultur für den Israel-Touristen. Ihre Bilder bezeugen den mühsamen Weg des Unterscheidens, des Lernens und Könnens. Aufgewachsen in der Bandbreite abendländischer Bildtradition, beherrscht sie die Techniken der Moderne ebenso wie die der Alten. In ihren Bildern blitzt das Licht eines Turner auf und die Buntheit der Fauves, die flirrende Palette der Symbolisten oder die Spontanität des Informel. Ihr Weg der Abstraktion ist das Einsammeln und Zusammenfügen dessen, was zerbrochen war – ist ein Abklopfen auf Tauglichkeit. Oder etwas pathetischer: ist ein Überprüfen auf Wahrhaftigkeit. Ihr Weg ist nicht zu Ende. Er nimmt uns Betrachter mit auf eine Reise ins Innere jener Gewissheit, die dem Geheimnis der Schöpfung innewohnt. Mit freundlicher Genehmigung von Bruno Alber, Kunsthistoriker, München (2010)

 

Secilia Pappert: Schweben in sanfter Leichtigkeit

Meine Königin Esther wohnt in der Wüste Negev und heißt Sabine Kahane. Denn genauso stelle ich mir die Königin aus biblischen Tagen vor: Mit weiten prächtigen Gewändern und phantasievollem Schmuck - eine starke Frau, eine kluge Frau. Mit ihrem großformatigen Porträt hat die Malerin Sabine Kahane Esther ein unverwechselbares Gesicht gegeben. Aufrecht und unerschrocken blickt die jüdische Heldin auf den Betrachter – sie, die ihr Volk vor der Vernichtung rettete. Königin Esther befindet sich bei Kahane in bester Gesellschaft: andere Portraits der Malerin zeigen Moses Schwester Miriam, Ruth - die erste Konvertitin des Judentums, Judith, die durch die Enthauptung des Generals Holofernes ihr Volk rettete oder auch die König-Mutter Bat-Sheva. Interessante Gesichter und stolze Frauen, deren sanfte Farben zugleich ihre Weiblichkeit betonen. Dass es die biblischen Damen der Malerin Kahane angetan haben, liegt wohl auch daran, dass sie quasi mitten unter ihnen lebt, in der biblischen Landschaft Israels, in der Wüste Negev. Nur den Aufmerksamen zeigt die Wüste ihre ganze Farbenpracht – auf den Bildern von Sabine Kahane findet man sie wieder: Pastelltöne in Sand, Rosenholz, Gold, Violett, Grün und Blau … Ob Wüstenlandschaften, Portraits von Rabbinern oder biblische Szenen und Frauengestalten – Kahanes Bilder schweben in sanfter Leichtigkeit dahin, ohne je oberflächlich, kitschig oder belanglos zu sein. Sie zeugen von der intensiven Auseinandersetzung der Künstlerin mit ihren Objekten. Jeder Baum im Wind, jedes trabende Kamel, jede kleine Mimikfalte, jede noch so zufällige Kleiderfalte verraten ihren neugierigen exakten Blick. Intensiv und über viele Jahre hat die Künstlerin die Natur studiert, ebenso antike Gegenstände, Gebäude bis hin zu alten Stofffärbe– und Schmuckherstellungstechniken. Viele der Gemälde sind mit hebräischen Bibel-Zitaten in Goldschrift versehen. Auf anderen erstrahlen Gewänder und Schmuck mit vielen kleinen Glitzersteinen. Jedes Material scheint der Malerin recht, um ihre künstlerischen Visionen mit Leben zu füllen und in ihre ganz eigene wunderbare Kunst umzusetzen. Mit freundlicher Genehmigung von Secilia Pappert, Journalistin, Leipzig (2010) Dazu Abbildung Datei archive_jan23, Bild PC 24 23 46 Königin Esther, 2000, Acryl auf Leinwand, 180x70, Beschriftung in Blattgold, hebräisch ו אהב המלן את אםתר מ כל הנשים („Und der König gewann Esther lieber als alle anderen Frauen...“, Buch Esther 2,17), signiert: u.r. Kahane 2000

 

Andreas Püschel: Eine Art grafischer Salon

Als ich Sabine Kahane Mitte der 70er Jahre kennen lernte, hatte sie gerade den Höhepunkt ihrer Radierungsperiode erreicht. Bei Sabine stand die Druckpresse abwechselnd im Wohnzimmer und in der Küche. Die Küche hatte den Vorteil, dass man neben dem Druckprozess die Wäsche überwachen oder das Essen für die Kinder kochen konnte. Wurde im Wohnzimmer gedruckt, entstand eine Art grafischer Salon: neben der Druckpresse wurde geplaudert, getanzt, getrunken und diskutiert, und die Walzen drehten sich auch an Sonn- und Feiertagen, zu Weihnachten und Silvester. Das heißt, sie wurden gedreht – von Sabine, eine physische Verausgabung, für die man heute in Fitness-Studios einiges hinblättern müsste. Neben der Druckpresse standen natürlich eine Staffelei – und ein Nähtisch, auf dessen Oberfläche ein zur Palette umfunktioniertes Aluminiumtablett und unzählige Farbtuben und all jene Malutensilien lagen, die mir bis heute jedes Atelier zum anheimelnden Ort werden lassen. Das heißt aber nicht, dass man in den kleinen Schubladen des Nähtischs nicht auch – gut sortiert – Sternzwirn, Stopfnadeln, Haken, Ösen oder Gummilitze finden konnte. So darf – alles andere mögen Fachgelehrte beurteilen –, was die seitdem immer mal wieder und aus den verschiedensten Ecken geforderte Durchdringung von Kunst und Alltag anbelangt, Sabine Kahane durchaus als Frühvollendete gelten. Mit freundlicher Genehmigung von Andreas Püschel, Fernsehautor, Berlin (2010)

 

Gretel Rieber: Engel in der Wüste

Für die einen ist er ein Ort der Inspiration, der Weite und der Stille. Auf die anderen wirkt er dämonisch, unberechenbar und gefährlich. Auf der Karte sieht der Negev, das wüstenhafte Tafelland, das zwei Drittel des Landes Israel einnimmt, wie eine riesige spitz zulaufende Eistüte aus. Ihr breiter oberer Rand durchschneidet das Land nördlich der Wüstenstadt Beer Sheva. Westlich wird der Negev vom Sinai und östlich vom Toten Meer begrenzt. Bei Eilat taucht die südliche Spitze ins Rote Meer, das Schilfmeer der Bibel. In der Wüste wohnen die Engel und wohnen die Dämonen. Aber sie können dem sterblichen Auge nur in materialisierter Form erscheinen. Also gehst du durch die Wüste und plötzlich entsteht vor dir ein kleiner Sandwirbel, und eine kleine Sandhose umkreist dich einmal, zweimal, und schiesst in den Himmel davon. Und du denkst, du hast eine Sandhose gesehen, das denkst du das erste Mal, das zweite Mal, und beim dritten Mal kommt dir die Sandhose schon irgendwie bekannt vor, und plötzlich siehst du, wer sie eigentlich ist, sie ist ein kleines Kind der Wüste, noch ist sie klein, aber eines Tages wird sie ein schwerer Sandsturm sein, und dann wirst du dich vor ihr ins Haus zurückziehen, und wirst alle Fenster schließen, und hinter dem Fenster sehen, wie die Luft rot und gelb vor Sand wird und die Sonne blau. Die Sonne gibt ein blaues Licht durch diesen roten Sand, und das Licht, das auf die Erde fällt, ist violett, da siehst du, was gemeint ist mit ultraviolett. Und auf einmal begreifst du, es war ein kleiner Engel, den du gesehen hast, und der grüsst dich durch diesen violetten Sonnenstrahl, der ein Karo vor deine Füsse zeichnet, und du freundest dich mit ihm und er kommt immer wieder, immer wieder lässt dich die blaue Sonne grüssen, immer wieder das violette Licht, immer wieder kommt der Sandsturm… Sabine Kahane, die mir in ihrem Haus in Sde Boker von der Begegnungen mit den Engeln und Dämonen der Wüste erzählt, trägt ein weisses Seidengewand, das ihr locker bis auf die Füsse fällt und die Arme bedeckt, blassrosa Seidenrosen verzieren den gerafften Saum. Die blonde Frau mit den grünen Augen und dem offenen Lächeln hat einen frischen Berliner Akzent, der nicht zu ihr zu passen scheint, genau so wenig wie das Kleid zu ihrer Arbeit: sie ist Malerin und ihre Arbeitskleidung sind nicht Jeans, sondern sommers pastellfarbene Seiden-Gewänder, winters oft goldbraune Samtkleider mit mehreren zartlila, seidenrosenverzierten Unterröcken. Die Kleider entwirft, näht und verziert sie selbst, auch ihren Schmuck aus Gold und Perlen fertigt sie nach eigenen Entwürfen. Die überwiegend hellen Farben der großformatigen Bilder, die an den Wänden des sparsam möblierten Hauses in Sde Boqer in der israelischen Negev-Wüste hängen, scheinen sich im Unendlichen aufzulösen, Farben der Wüste, Sandfarben: Gold, ein sehr helles Gelb, ein helles Steingrün, das blasse Blau-Weiss des winterlichen Negev-Himmels, viel ins Rötliche spielendes Ocker, helles Orange, helles Rosa, auch sparsam gesetztes chinesische Rot, gelbliches Weiss, Umbra, Spuren von Violett, etwas Schwarz. Auf den ersten Blick fast abstrakte Formen, doch dann erkennt man, dass hier mit erstaunlicher Kraft Geschichten erzählt werden, Bibelgeschichten. Die aus Berlin stammende Malerin, die im Süden Israels mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Chaim Noll seit einigen Jahren lebt, hat hier, in der Wüste, zu ihren jüdischen Wurzeln gefunden. Sabine Kahane: Ich bin aufgewachsen als Tochter eines bekannten Künstlers. Mein Vater sah seine Aufgabe darin, Weltliteratur zu illustrieren und bibliophile Bücher zu gestalten, er war ein gebildeter Mann, der sein ganzes Leben der Illustrationskunst mit den verschiedensten Techniken gewidmet hat. Er hatte eine grosse Bibliothek. Von Kindheit an habe ich mich mit Büchern und vor allem mit Bildern beschäftigt. Mein Vater sass an seinem Schreibtisch und arbeitete und ich lag auf dem Teppich in seinem Arbeitszimmer, vor mir Bilderbücher, und ich schaute diese Bilder an und wenn ich eine Frage hatte, konnte ich sie ihm stellen, er beantwortete sie ausführlich, sprach über die Geschichten dieser Bilder, über die Bibel, über die Märchen, über die alten Griechen, über die Römer. Das war meine Kindheit. Sabine lebte mit den Eltern und Geschwistern in Ostberlin, dort lernte sie auch ihren späteren Mann kennen, den Schriftsteller Chaim Noll. Sabine Kahane: Ich habe in Ostberlin Kunst studiert, an der Kunsthochschule in Weissensee, die eine bewegte und interessante Geschichte hat, viele ihrer Lehrer waren Angehörige des Widerstands gegen die Nazis. Später wurde die staatlich reglementiert, so dass es gerade für begabte Studenten oft schwer gewesen ist, frei zu arbeiten. Aber ich habe dort eine profunde Ausbildung erhalten. Dann war ich Meisterschülerin an der Akademie der Künste. Drei Jahre lang habe ich mich, mit einem kleinen Stipendium versehen, in meine Arbeit vertiefen können. Ich konnte damals auch viel reisen, bin oft und lange in Russland gewesen, in Moskau und Petersburg, und habe dort erstmals erlebt, was „Weite der Landschaft“ bedeutet. Ausserdem habe ich dort die interessantesten Künstler kennengelernt und wichtige künstlerische Erfahrungen gesammelt. Ich war auch in Jugoslawien, in Polen, in der Tschechoslowakei, in all den Ländern, die damals zugänglich waren. Aber als ich mich in meine Arbeit vertiefen wollte, das Gesehene umsetzen wollte in Bilder, da stellte ich fest, dass mir dieses Land zu eng wurde. Das war einer der Gründe, warum meine Familie, mein Mann, ich und unsere beiden Kinder schliesslich Ostberlin verliessen. Und wie haben Sie Ihren Lebensunterhalt verdient, frage ich, bevor Sie 1983 Ihren Ausreiseantrag aus der DDR stellten und mit der Familie nach Westberlin gingen? Sabine Kahane: Aus meiner Kindheit waren mir die verschiedensten malerischen und graphischen Techniken vertraut, durch mein Studium hatte ich sie intensiv studiert und jetzt wandte ich sie an. Ich hängte mir eine Ledertasche um, in der befanden sich kleine Metallplatten und eine Radiernadel. So bin ich durch Berlin gelaufen, und habe alles, was ich sah, in Kurzform auf die Platte radiert, in Kaltnadel-Technik. So, wie andere Photos machen. Ich konnte einen silbrigen Strich sehen, aber ich konnte nicht wirklich sehen, was ich da machte, ich war ganz meiner Inspiration hingegeben, ich zeichnete, was ich sah, auf die Platte und wenn ich nach Hause kam, färbte ich die Platte mit Druckfarbe und druckte sie auf einer Tiefdruckpresse. Dann erst sah ich, was ich gemacht hatte. Ich war oft sehr überrascht über die unmittelbare, stark emotionale Wirkung dieser Technik, und ich tat ein übriges, ich färbte die Platte nicht nur schwarz, sondern auch mit Farben und machte Monotypien. Oder ich setzte mich hin und kolorierte die Kaltnadel-Abzüge. Diese Arbeiten gefielen dem Publikum, ich verkaufte in verschiedenen Galerien des Staatlichen Kunsthandels diese kleinen Drucke, die eigentlich Originale waren. Ich hatte etwas erfunden oder wieder gefunden. Ich wurde bekannt damit, viele meiner Arbeiten verkaufte ich an Sammler und habe die Hoffnung, dass von diesen frühen Arbeiten noch einige existieren, dass sie in guten Händen sind. Die Motive, das waren die Stadt, die Architektur, die Bäume, die Tiere. Und das waren die Menschen in dieser Stadt, die Menschen in ihrer Umgebung. Und später, wenn ich das druckte, dann sah ich, dass ich die innere Befindlichkeit unbewusst mitgegeben hatte und das hat meinem Publikum gefallen. Grosse Bilder konnte ich damals nicht verkaufen, die passten nicht in die meist kleinen Wohnungen in Ost-Deutschland, aber die kleinen Drucke, die liebten die Menschen, wir hatten damals, mein Mann und ich, einen Kreis von Bewunderern und Sammlern. Sabine und Chaim Noll, der ebenfalls Kunst studiert hat, haben sich im Arbeitszimmer von Sabines Vater, der auch der Lehrer von Chaim war, kennen gelernt. Ich fragte diesen jungen Mann wer er sei und er antwortete mir, und ich fragte ihn, ob er jüdisch sei und er sagte ja. Seit meiner Kindheit fühlte ich ein starkes Hingezogensein zum jüdischen Volk. Deshalb machte der Umstand, dass er jüdisch war, ihn in meinen Augen unwiderstehlich. Nachdem Chaim Noll dem DDR-Regime gegenüber zunehmend kritischer wurde und den Wehrdienst in der DDR-Volksarmee verweigerte, in einen Hungerstreik getreten war und Monate in psychiatrischen Kliniken zubringen musste, wurde die Situation für das Ehepaar unhaltbar. 1983 stellte das Paar einen Ausreiseantrag, dem wegen der prominenten Väter rasch entsprochen wurde. Die erste Zeit im Westen war schwer, bis es Chaim Noll gelang, als Schriftsteller Anerkennung zu finden. Nach einem längeren Aufenthalt in Italien, wo sie eine zeitlang lebten, wanderten sie schliesslich nach Israel aus und machten Aliyah, das heisst sie bürgerten sich dort ein. Schon in Rom hatten sich die Eheleute mehr und mehr dem Judentum zugewandt, denn auch Sabine, die katholisch getauft und deren Familie schon seit mehreren Generation christlich war, hat jüdische Wurzeln. Sabine Kahane: Unser Weg ins Judentum war ein spiritueller Entwicklungsweg, der hauptsächlich mit unserer Arbeit zu tun hatte, der nicht unmittelbar aus politischen Verhältnissen hervorging. Wir suchten vielmehr nach den Gründen, weswegen unsere Vorfahren das Judentum verlassen hatten, wie es zu dieser starken Assimilation an Deutschland gekommen war, warum wir diesen Weg nicht weitergehen konnten, wie es möglich war, dass wir als Kinder nicht mal wussten, ob wir jüdische Vorfahren hatten. Wir wussten auch nicht, was Judentum bedeutet. Das zu erfahren, war ein langer geistiger Weg, damit waren wir beschäftigt und das hat uns im Grunde daran gehindert, uns in Deutschland wirklich zu verwurzeln. Wir wollten zu unseren alten, wirklichen Wurzeln zurückkehren, wir und unsere Kinder. Wir mussten den ganzen Weg zurückgehen, Schritt für Schritt. Zunächst waren wir einige Zeit in Rom. Daraus ist ein Buch geworden, das Chaim geschrieben hat, mit Zeichnungen von mir, es heisst „Roma Hebraica. Eine Spurensuche“. Darin beschreibt Chaim, was das Judentum mit dem Christentum verbindet und was uns trennt. Uns verbindet eine gemeinsame Basis, eine gemeinsame Kulturentwicklung, trotz aller Verfolgungen der Juden durch die Christen, trotz christlichem Antisemitismus. Aber wir waren in Rom, um die Gemeinsamkeiten zu finden. Wir betrachten Italien als unsere Wahlheimat in Europa. Wir haben fast fünf Jahre in dort gelebt, von 1991 bis 1995, doch dann haben wir Italien mit zwei Koffern und einem Laptop verlassen, und sind nach Israel geflogen, leichten Herzens... Aber Ihr Mann hat mir erzählt, dass Sie bis Zypern unentwegt geweint haben. Sabine Kahane: Das schließt einander nicht aus. Ich wusste, ich fliege in ein Land, das am Rand des Irrealen liegt, das es vielleicht gar nicht gibt. Ich hatte das Gefühl, ich verlasse die Welt, die ich kenne, die mir vertraut ist, und gehe in eine andere. Als unser Flugzeug landete und ich in Tel Aviv in die Halle kam, da stand dort schon unser Sohn und hielt Ausschau nach uns, und erst in dem Augenblick glaubte ich, dass dieses Land existiert. Wir sind zunächst in den Norden gefahren, in einen Kibbuz. Später haben wir in Netanya einen Ulpan besucht, eine Sprachschule. Ich habe mich dann zu einer religiösen Konversion ins Judentum entschlossen. Die Konversion war ein grosses spirituelles Erlebnis und hat in meiner Kunst einen tiefen Wandel bewirkt. Es ist schwer, Israel zu verstehen, wenn man aus Europa kommt. Dieses kleine Land befindet sich im Zentrum der Ereignisse, im Mittelpunkt weltweiter Spannungsfelder. Man erlebt das persönlich, es stürzt einen in alle möglichen Konflikte. Das ist einige Jahre her, ich lebe nun zehn Jahre in Israel und habe dieses Land seither kein einziges Mal verlassen, so sehr fesselt mich der Vorgang der Rückkehr, der Wiederfindung des Spirituellen, den ich hier durchlebe. Sabine Kahane wandte sich biblischen und religiösen Themen zu. Sie malt Szenen aus dem Exodus, malt Moses, der Wasser aus dem Felsen schlägt, den jungen David, Frauen der Bibel. Sabine Kahane: Künstlerische Arbeit ist Inspiration, und Inspiration ist ein Vorgang, den kein Mensch – auch kein überzeugter Atheist – rational erklären kann. Hier ist eindeutig überirdisches im Spiel – das weiss jeder Künstler. Ich warte auf die Inspiration, ich warte, bis man mich ruft. Wir müssen uns bereithalten wie Abraham: als Gott ihn rief, sagte er „Hier bin ich“ und war bereit. Und so fange ich an, zu arbeiten. Und wenn es soweit ist, achte ich nicht mehr auf die Zeit... Hier draussen in der Wüste gibt es wenig Ablenkungen, man kann in ungewöhnlicher Konzentration arbeiten. Die Farben haben sich verändert und die Sujets haben sich verändert, ich beschäftige mich mit der Wüste und mit den Menschen in der Wüste, mit unseren Vorfahren, den Vorvätern und –müttern, und mit den jetzt hier lebenden Beduinen. Ich sehe sie als unsere Verwandten, die geblieben sind wie wir einst waren, Nomaden, die mit ihren Zelten und Herden durch die Wüste ziehen. So lebten die Hebräer vor tausenden Jahren in dieser Gegend. Die Landschaft, die mich umgibt, ist biblischer Boden. Man kann von den Beduinen auch ganz praktisch lernen, wie man hier leben muss, angefangen damit, dass man sich in der Wüste nicht übereilen darf, bis hin zu ihrer Angewohnheit, den ganzen Tag über Tee mit grüner Minze zu trinken. Sabine Kahane stellt zur Zeit nicht in Galerien aus und verkauft nur wenig, sie möchte ihre Bilder um sich haben. Sie zeigt sie in einigen öffentlichen Gebäuden in Sde Boqer, im Haus der Ortsverwaltung, in der Mensa der high school. Zur Zeit hat sie sich einem neuen Gebiet zugewandt, der altüberlieferten Technik, feingewalzte Goldplättchen zu punzen, zu hämmern, zu emaillieren und so Schmuck, Becher und Wandbilder zu gestalten. Seit einigen Jahren wohnt das Künstlerpaar in Sde Boqer im Negev, am Rande des überwältigenden Wadi Zin, einer bizarren Landschaft aus kahlen Bergen, im Abendlicht gefältelter beige-rosa Samt aus Stein. Die Wüste Zin ist ein biblischer Ort, mehrmals in den Fünf Büchern Mose erwähnt, als eine Station der wandernden Israeliten. In neuester Zeit lebte hier David Ben-Gurion, der Gründer des neuen iraelischen Staates. Er liegt auch hier begraben, ganz in der Nähe von Sabines Haus. Sabine Kahane: Wir fuhren, etwa zwei Jahre nach unserer Ankunft in Israel, eines frühen Morgens nach Sde Boqer und ich erlebte den ersten Sonnenaufgang in der Wüste. Ein unvergleichliches Erlebnis. Man versteht im Grunde erst hier, was die Sonne ist, die Erde, der Mensch. Ich bin zum Grab Ben-Gurions gegangen und habe zu Chaim gesagt, was für ein Glück wäre es, wenn man hier leben könnte. Früher sind wir viel gereist, aber hier kommen wir einfach nicht mehr weg. Es ist ein magischer Ort. Man merkt nicht, wie die Zeit vergeht, arbeitet von morgens bis abends, ein Tag folgt dem anderen, man fühlt es nicht. Die Zeit bleibt stehen. Ich denke oft, hier ist eigentlich schon die Kommende Welt, doch man sieht es nicht, es ist verborgen, im Unsichtbaren. Wenn man die Berge lange und aufmerksam anschaut, entdeckt man in ihnen alle Formen und Farben der Welt, die Quellen der Architektur, der Malerei, der Wissenschaft. Hier verwandeln sich Städter, die in Berlin geboren wurden, plötzlich in Kinder der Wüste. Interview mit der Kölner Journalistin Gretel Rieber im Oktober 2004 für die Sendung im Deutschlandfunk: Grenzlinien des Lebens. Eine lange Nacht über die Wüste Negev, gesendet am 24.6.2006. Internet: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/langenacht/511466/ Der Text erschien in englischer Übersetzung in dem Buch The Desert Experience in Israel. Edited by A.Paul Hare and Gideon M.Kressel, University Press of America, Lanham 2009. Mit freundlicher Genehmigung von Gretel Rieber, Köln (2010).

 

Aloys Wilmsen: Liebevoll und konkret

Zu Ihren Bildern fand ich den Schlüssel „Wüstenbilder“ sehr zutreffend. Ihre Bilder spiegeln das Phänomen Wüste in einer Realität und Verdichtung wieder, die mir zuvor nie begegnet ist. Sie gehen, fahren in die Wüste immer wieder und malen in der schier unerträglichen Hitze des Tages. Immer aufs Neue, was Sie neu entdecken, und Sie verbinden die Geschichte der Wüste mit der Geschichte Israels, des israelitischen Volkes, in dem Sie Personen, die diese Geschichte geprägt haben, wie selbstverständlich in sie hineinstellen. Jesus lebte 40 Tage in der Wüste, das Volk zog vierzig Jahre durch die Wüste... In Ihren Bildern entzaubern Sie die Gefahren der Wüste, Sie nehmen Ihre Schönheit und Farbigkeit wahr, liebevoll und konkret. Einzelne Personen stellen Sie in die Landschaft der Wüste und verdichten beides. Meine Frau und ich freuen uns von ganzen Herzen, wenn nun Ihre großartige Malerei den Weg nach Deutschland findet und uns in Deutschland einen neuen Blick eröffnet auf das hin, was in Israel in Jahrtausenden geschehen ist. Ganz besonders freue ich mich, wenn ich im Herbst des Jahres 2011 einen Teil Ihrer Wüstenbilder in meiner Galerie in Maria-Thann in der Nähe des Bodensees, einem Ort mit mehr als 1200 Jahre Geschichte, ausstellen kann. Mit freundlicher Genehmigung von Dr.Aloys Wilmsen, Galerist, Maria-Thann (2010)

 

Helga Wilmsen: Schwingungen in einer kosmischen Landschaft

Alles ist in Licht getaucht, Schwingungen in einer kosmischen Landschaft. In ihrem Haus in Metar in der Wüste Negev ging ich von Bild zu Bild, eingetaucht in eine mehrtausendjährige Geschichte. In gleißenden Farben, auf hohen schmalen, weißen Leinwänden ist immer wieder das Volk der Israeliten in wenigen malerischen Strichen angedeutet und verschmilzt mit den Farben der Wüste. So wie in den Gemälden William Turners sich die Elemente wunderbar verbinden, gelingt es ihr, die Sonne, das Licht, den Wind, den Sand, das Gebirge und Täler, Krater der Wüste mit dem jüdischen Volk zu vereinen. Mit freundlicher Genehmigung von Helga Wilmsen, Galeristin, Maria-Thann (2010)

 

Florence Hervé: Schönheit, Härte, Herausforderung

Die Pastellfarben der Wüste haben sie betört – sanfte, blasse, goldene Farben und die bei Sandstürmen rotvioletten Strahlen der untergehenden Sonne sowie die Unendlichkeit der Wüste. Als sie eines Tages von der dicht bevölkerten Mittelmeerküste hier landete, war es wie eine Offenbarung. Sie sah die aufgehende Sonne über der Wüste, die endlose Weite, sah die Adler und die Geier am blauen Himmel, die Kamele auf den Dünen wie Statuen. Sie sah „die Leere der Landschaft, den Mut der hier lebenden Menschen, die Schönheit, die Härte und die Herausforderung“. Dieser Morgen ist für sie unvergesslich. Sabine Kahane, Malerin und Illustratorin, und ihr Mann, der Schriftsteller Chaim Noll, sind vor rund 15 Jahren nach Midreshet Ben Gurion gezogen, einige Kilometer vom Modellkibbuz Sde Boker – „dem Hirtenfeld“ – entfernt, dem Kibbuz des ersten israelischen Regierungschefs Ben Gurion, der damals erklärte: „Wir müssen den Negev besiegen, sonst wird die Wüste uns besiegen.“ Midreshet Ben Gurion liegt in der steinigen Steppe, dort, wo Ziegenherden und braune Kamele Gras suchen, antike Städte zu entdecken sind, wo sich Oasen, Aquakultur und Weinbau neben Wellblechstädten, Müllhaufen und verbotenen Militärzonen finden. Für Sabine Kahane ist diese Region vor allem „die Kornkammer und der Weinkeller König Davids“. Midreshet Ben Gurion ist von Stacheldraht umgeben und liegt nahe der historischen Gewürzstraße am Rande des Flussbettes Wadi Zin. Ein Campus-Städtchen mit zweistöckigen sandfarbenen Häusern, einem Institut für Solarforschung, einer Universität, einem Theater und einem Gemeinschafts-Restaurant. In letzterem hängen Pastellbilder von Sabine Kahane, die biblische Figuren darstellen. Hier leben 2000 Menschen aus aller Welt, ForscherInnen, ArchäologInnen, KünstlerInnen, SchauspielerInnen, AutorInnen und MusikerInnen. Eine Welt für sich. Die Malerin und ihr Mann bewohnen zusammen mit zehn Katzen ein luftiges und helles Haus mit einer Dachterrasse, die dazu einlädt, im Abendrot zu träumen. Dort empfängt Sabine Kahane ihre Gäste in einem langen schillernden Kleid in den Farben der Abendsonne und mit selbstgemachten glitzernden Broschen im Haar. Die Wände ihres Hauses sind mit Pastellbildern „in den Farben der Wüste“ dekoriert. „Früher waren meine Bilder viel dunkler“, sagt sie. Für diesen privilegierten und geschützten Ort hat Sabine Kahane auf vieles verzichtet (...) Sie folgt ihren Kindern, die sich inzwischen in Israel eingerichtet haben: Benny, der in Beer Sheva im Hightech-Bereich unterrichtet und mit einer Goldschmiedin verheiratet ist, und Sophie, Historikerin, Autorin eines Buches über Israel. Es ist für sie die Entdeckung einer neuen Heimat. Hier studiert sie jüdische Philosophie, nimmt ein Jahr lang an Kursen der Religionsschule teil und lernt Hebräisch (...) Seitdem sie in Midreshet Ben Gurion lebt, haben sich die Farben und die Themen ihrer Bilder verändert. „Es gibt kaum Ablenkung in der Wüste, wir haben kein Fernsehen, ich kann mit unvergleichlicher Konzentration arbeiten.“ Alles richtet sich nach ihrer Malerei. „Wenn ich nicht schlafe, arbeite ich.“ Und um ruhige Bilder malen zu können, muss man eine sichere Hand haben: „Ich trainiere meine Hand für eine jungfräuliche Malerei, kein einziger Strich darf danebengehen, es kommt auf die ruhige Hand an.“ So kreiert sie auch Kunstgegenstände: Becher aus Aluminium, Salzfächer, vergoldete Dosen, Schmuckstücke aus Kupfer und Edelsteinen, die von tausend Jahre altem Schmuck inspiriert sind. Ihre Broschen, Ohrringe und Anhänger stellen Blumen und Obst dar – „ein fruchtiger Schmuck“, sagt sie, „mein Schmuck ist sehr floral“. Es ist auch eine Anspielung auf die glorreiche Vergangenheit des Negev: „Die Wüste ist die Wiege der großen Zivilisationen.“ Die Künstlerin verwendet Halbedelsteine, die sie auf dem Beduinenmarkt von Beer Sheva kauft, blaugrünen Opal, braunen, grünen oder gestreiften Achat, blutroten Karneol oder Kolibri-Federn. Manchmal hilft ihr ihre Schwiegertochter Nadia, die Goldschmiedin, bei der Schmuckherstellung. Sabine Kahane möchte keine kommerzielle Kunst herstellen, ihr Schmuck ist für Freundinnen gedacht. Daneben entwirft sie auch märchenhafte Kleider. Die Wüste inspiriert sie. „Sie hat eine konservierende Eigenschaft und verhindert, alt zu werden. Die Lust zu leben ist hier enorm.“ Florence Hervé: Frauen der Wüste. Aviva Verlag Berlin, 2011, 192 S., ISBN: 978-3-932338-46-5 Internet: http://neuebuecher.de/vlbid/0-3630737/ Mit freundicher Genehmigung von Dr.Florence Hervé, Düsseldorf (2011)

 

Ingo Way: Immer noch ungetrübt Berlin

Gemeinsam gehen wir zu seinem Haus, wo er mit seiner Frau, der Malerin Sabine Kahane, und ungefähr zwölf Katzen lebt. Wie viele es genau sind, weiß er selber nicht so recht, die Katzen kommen und gehen, Nachbarn brächten heimlich ihren Katzennachwuchs herbei, da das Noll’sche Domizil als katzenfreundliches Haus gilt. Sie halten die Skorpione ab, sagt er. Im Gegenzug sind die Katzen hier sicher vor den Wölfen, die sich nachts manchmal in den Ort wagen. Das lichtdurchflutete Haus, das von innen doppelt so groß wirkt wie von außen, ist vom Keller bis zum Dach mit Sabine Kahanes Aquarellen geschmückt – Porträts, Bibelszenen, Negev-Landschaften. Sabines Deutsch klingt, obwohl sie seit ihrer Auswanderung Israel nicht mehr verlassen hat, immer noch ungetrübt nach Berlin. „Ich verstehe die deutsche Ängstlichkeit nicht.“ Ein Wüstenspaziergang mit dem Schriftsteller Chaim Noll. Cicero, Magazin für Politische Kultur, November 2011 Internet: http://www.cicero.de/259.php?ress_id=38&kol_id=11128 Mit freundlicher Genehmigung von Ingo Way, Berlin (2010) Engelgard von Wolff: Verkündigung Ihre Bilder sind auch eine Art Verkündigung, so sehe ich es. Mit freundlicher Genehmigung Engelgard von Wolff, München (2010)

©2022 Sabine Kahane, Meitar, Israel